Wir haben am 10.09.2022 einen guten Tagungsverlauf mit thematisch sehr unterschiedlichen, die verschiedensten Bereiche der Nachhaltigkeit und des Ressourcenschutzes beleuchtenden, Beiträge gehabt. Die zahlreichen Rückfragen sowie die lebhaften Diskussionen im Netz und Hörsaal zeigen das Interesse am Thema in der Gesellschaft und tragen hoffentlich dazu bei, dass wir in unseren jeweiligen Bereichen das Notwendige einbringen und auch umsetzen werden!!
Der erste Referent, Dr. Wolfgang Spangenberg, ist promovierter Politologe sowie Diplom-Biologe und -Ökologe. Er ist Research Coordinator, Vice Chair, beim Sustainable Europe Research Institute SERI Germany e.V. und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des BUND e.V.. Dr. Spangenberg gab in seinem Eingangsreferat einen globalen Überblick über den Zustand der Ökosysteme der Erde. Plakativ nannte er es so: „die Party ist vorbei“. Fünf der neun planetarischen Grenzen sind bereits überschritten. Wir haben mehrere Kipppunkte des Klimasystems erreicht oder sogar überschritten. Wir wissen nicht, ob es stabile Zustände des Klimasystems bei einer Erderwärmung größer gleich 1,5° geben wird. Soziale Errungenschaften werden mit Grenzüberschreitungen bezahlt. Hinzu kommt, dass die Grenzen schneller überschritten werden, als soziale Erfolge erzielt werden können. Obwohl die Klimakrise die einzige ist, die einigermaßen ernst genommen wird, wird die Dringlichkeit nicht realisiert. Nach dem Scheitern des Biden-Programms und dem Richterspruch ist eine effektive Klimapolitik in den USA nicht mehr möglich. Die 2°-Ziele werden überschritten. Die Menschheit geht vom fossilen in ein neues Metall-Zeitalter über, mit mehr Stoffströmen und Materialverbrauch, mehr sozialen Verwerfungen in und zwischen den Ländern sowie mehr Abhängigkeiten von autoritären und diktatorischen Regimes. Insofern sind die gegenwärtig propagierten Lösungen nur „Business as usual by other means“. Der gemeinsame Nenner, die Überschreitung der ökologischen Grenzen durch unser Wirtschaften, wird nicht erwähnt. Dr. Spangenberg prognostiziert einen Wechsel von der Nachhaltigkeit zur Sicherheit. Ressourcensicherheit wird wichtiger und wird wohl militärisch gesichert werden, denn der Ideologiewechsel vom Neoliberalismus zum Neoimperialismus sei seit 20 Jahren vollzogen. Dr. Spangenberg konstatiert, dass immer Geld für Waffen zur Verfügung stünde, aber nicht für Natur und Soziales. Ständig neue Krisen führten zu einer allgemeinen Resignation, auch gegenüber der Umweltkrise. Dabei ginge es um mehr als Wirtschaftswachstum, es gehe vor allem um gute Arbeit als Teil eines guten Lebens.Die prognostizierten Folgen ab 2050 sind sehr düster: Dürren reduzieren die Lebensmittelsicherheit, Wasserknappheit erfordert eine Rationierung, Waldbrände und Flutwellen zerstören Habitate, Hitzewellen fordern Todesopfer. Das Systemversagen unserer Wirtschaft erfordert nicht Optimierung, sondern einen Systemwandel, technisch wie gesellschaftlich. Gerechtes Teilen bedeutet immer die Beschränkung von Privilegien. Manchmal muss die Freiheit Weniger (zu konsumieren und zu spekulieren) begrenzt werden, um die Freiheit Aller (zu überleben) zu sichern. Dr. Spangenberg sieht große Aufgaben für die Ökologen in der Multikrise. Erstens nicht zu zögern erschreckende Analysen mitzuteilen. Er ruft zum Engagement auf, nicht nur Resillienzelemente zu identifizieren, sondern sie auch umzusetzen. Die Wege müssen zurück zu den planetaren Grenzen, mit radikalen Methoden und ohne Tabus. Es gilt: nur radikal ist realistisch.
Das 2.Referat hielt Dr. Michael Kopatz. Dr. Kopatz ist Sozialwissenschaftler, war Dozent und Projektleiter im Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Von 2007 bis 2008 war er Mitautor der von Misereor und BUND geförderten Studie Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt. Er beschäftigt sich mit Konzepten zur Stärkung der Regional- und Gemeinwohlwirtschaft in Kommunen. Diesen Ansatz nennt er Wirtschaftsförderung 4.0.
Herr Philip Kosse, Master of Geography und frischer Absolvent, war der 3.Referent der Tagung. In seiner Masterarbeit befasste sich Kosse vor allem mit digitaler Bürgerbeteiligung und nachhaltiger Stadtentwicklung am Beispiel Münster. Seine Schwerpunkte sind vor allem Smart City, nachhaltige Stadtentwicklung, Nachhaltigkeit als solches und im Kontext der Digitalisierung.
4.Referent war Dr. Klaus Krumme. Krumme ist seit 2019 Geschäftsführer des Joint Centre Urban Systems (JUS) an der Universität Duisburg-Essen (UDE). Er ist ein interdisziplinärer Wissenschaftler, mit Abschluss in Umweltwissenschaften sowie in Geographie, Biologie und Erziehungswissenschaften. Er promovierte innerhalb der Geographie zum Thema „Sustainable Urban-Industrial Supply Systems“ mit Bezug zur transdisziplinären Nachhaltigkeitswissenschaft. Dr. Krumme ist Lehrbeauftragter für Nachhaltigkeit und leitet das Projekt„Integriertes Regionales Klimalabor Nord Jakarta und Hafen (JaC-Lab) (BMBF, 2019-2021). Aus diesem hat er im folgenden berichtet.
Den 4 Vorträgen folgte eine 30 minütige Diskussion.
Im Nachmittagsblock stellte die Referentin Linda Preil, Mitarbeiterin der Firma Einhorn aus Berlin, die nachhaltigen Aktivitäten ihres Arbeitgebers vor. Die Firma Einhorn produziert vegane und nachhaltige Periodenprodukte und Kondome aus regenerativer Landwirtschaft. Firmengründer ist Waldemar Zeiler, der in seinem Buch „Unfuck the economy“ (zusammen mit Katharina Höftmann Ciobotaru sowie einem Vorwort der Nachhaltigkeits-Ökonomin Maja Göpel) die bisherige Wirtschaftswelt auf den Kopf stellt und einen radikalen Umbau zur Nachhaltigkeit und einer Post-Wachstumsgesellschaft fordert. Seine Mitarbeiter, „die Einhörner“ arbeiten selbstbestimmt ohne Hierarchien, wann sie Lust haben, von wo sie wollen, und bestimmen ihr Gehalt weitestgehend selbst. Deswegen gehört die unverkäufliche Firma inzwischen auch sich selbst.
Es folgte die 6.Referentin, Frau Antje Styskal, Bürgermeisterin des Zukunftsdorfes Bollewick in Mecklenburg-Vorpommern, am größten See Deutschlands, der Müritz. Die Bürger des Dorfes leben ihre Vision von einer nachhaltigen Zukunft im Grünen. Sie machen sich nicht nur unabhängig von fossiler Energie, sondern übernehmen auch nachhaltig Verantwortung. Der ehemalige Bürgermeister Bertold Meyer war seit Beginn der 1990er Jahre schier unermüdlicher Motor in diesem Prozess.
- Im Bioenergiedorf Bollewick wird aus regionaler Biomasse der Strombedarf zu 100% und die benötigte Wärme zu 70% gestillt. Dabei werden pro Jahr 623 Tonnen CO2 Ausstoß vermieden.
- Nicht nur die im Dorf lebenden Menschen profitieren von den Anlagen, sondern auch die Felder der ansässigen Landwirte. Dort wird mit den Gärresten gedüngt. Das spart synthetischen Dünger und zeigt, wie Kreisläufe funktionieren.
- Darüber hinaus wurden gläserne Landwerkstätten initiiert, wo ökologische Fleischwaren hergestellt werden. Die Straßenbeleuchtung wurde auf LED umgestellt. Der Ausbau und Betrieb der größten Feldscheune Deutschlands zum Kulturzentrum ist für ein Dorf dieser Größe sensationell. Hier wird Handel mit regionalen Produkten getrieben, aber auch Gastronomie und ein Hotel haben hier eine Heimstatt.
Abschließende Referentin (7) war Frau Rebecca Hummel, Managerin im Transformbar Projekt der Stadt Münsingen in Baden-Würtemberg. In Münsingen, im Biosphärenreservat Schwäbische Alb gelegen, verfolgen der Gemeinderat und die Einwohnerschaft einen breit aufgestellten Ansatz von Nachhaltigkeit. Die ökologische, die ökonomische und die soziale Nachhaltigkeit finden sich in allen kommunalpolitischen Entscheidungen wieder. Ziel ist es, möglichst viele Akteurinnen und Akteure aus der Bevölkerung und der lokalen Wirtschaft von diesen Zielen zu überzeugen und mitzunehmen. Folgende Vorhaben sind bereits umgesetzt:
- Mobilitätszentrum: Direkt am Bahnhof entstand ein Elektromobilitätszentrum, an dem Touristen und Einheimische E-Bikes und ein E-Auto mit vorgeschlagenen Routen ausleihen können. Die Stadt betreibt das Mobilitätszentrum gemeinsam mit einem lokalen Fahrradhändler.
- Regionale Produkte: In Zusammenarbeit mit dem Biosphärengebiet ist es in den vergangenen Jahren gelungen, viele regionale Produkte, vor allem auch alte Sorten (z.B. AlbLinsen, AlbLamm, Albschneck, Albbüffel) am Markt zu platzieren. Dadurch wird eine regionale Wertschöpfung erreicht und die Produkte aus der Region, welche zum Teil bereits vom Markt verschwunden waren, rücken wieder in das Bewusstsein der Bevölkerung.
- Naturerlebnisgebiet Beutenlay: Direkt am Stadtrand liegt das ca. 100 ha große Naturreservat. Eine Besonderheit ist das Feld-Flora-Reservat, in dem die über Jahrhunderte bewährte Dreifelderwirtschaft auf der Schwäbischen Alb dargestellt wird. Ebenfalls wird die Haltung von Waldschafen in diesem Gebiet praktiziert und die Veränderungen im Wald können beobachtet werden.
- Erneuerbare Energien: Durch einen guten Energiemix aus PV, Wind und Biomasse gelingt es der Stadt Münsingen, den Strombedarf der privaten Haushalte sowie der kleinen und mittleren Unternehmen komplett zu decken. Vor allem durch die zur Verfügung Stellung von Dachflächen konnte die Stadt Münsingen in den vergangenen Jahren die Leistung stetig ausbauen.
- Biotopverbund/Landschaftspflege: Durch die Unterhaltung und Pflege der Buchenwälder, der Wacholderheiden sowie anderer Biotope erhält Münsingen die Kulturlandschaft. Durch den Erhalt wird ein großer Beitrag zur Biodiversität geleistet. Durch Lehrpfade und die Führung durch ausgebildete AlbGuides werden die Landschaften erlebbar und leisten somit einen wichtigen Beitrag zur Umweltbildung.